Fliegen im Alter

Neulich steckte ich im Age Explorer – ein Anzug, der das Alter simuliert.

Immer mehr ältere Menschen reisen. Zum Beispiel mein 70-jähriger Vater. Der fliegt wie ein Weltmeister um die Welt – auch, weil er es noch kann. Irgendwie bewundernswert. Doch was heißt es, als Senior in den Urlaub zu fliegen?

Eine Lektion des Age Explorer: Ich merke, wie sich die Menschen im Flughafen mir gegenüber anders verhalten: Um Missverständnisse zu vermeiden, sprechen sie nur noch sehr laut, langsam und in einfachen Sätzen mit mir, als sei ich ein Kind. (Foto: André Lenthe)

Unter dieser Fragestellung probierte ich am Flughafen Hamburg den Age Explorer. Der Spezialanzug, in dem ich aussah wie ein Mix aus Astronaut, Feuerwehrmann Sam und Bombenentschärfer, ist ein Hilfsmittel zum Senioren-verstehen. Wer hineinschlüpft, wird in den Zustand eines (sorry) Opa versetzt. Eingenähte Gewichte, Sicht-, Hör-und Tastblockaden und vieles mehr schränken Wahrnehmung, Kraft und Beweglichkeit ein. Gehen, Hören, Sehen, Tragen, Bücken, Aufstehen, SMS schreiben: Nichts ist mehr selbstverständlich, alles fällt ein wenig schwerer – und ermöglicht so den Perspektiv-Wechsel.

Weiterhin gute Reise, Pa.

 

Fliegen im Alter
Spezielle Anforderungen: Weil immer mehr ältere Menschen viel fliegen, reagieren Airports mit dem Ausbau und der Optimierung ihrer Dienstleistungen und Infrastruktur.

Vielflieger wissen: Sich an Flughäfen zu orientieren, kann schon mal stressig und auch beschwerlich sein. Für Senioren aber, die mit zunehmendem Alter immer schlechter hören, sehen und gehen können, kann das Zurechtfinden in einem Airport eine geradezu verwirrende und einschüchternde Angelegenheit sein. Fakt ist: Viele Senioren fühlen sich in wuseligen Großinfrastrukturen wie einem Flughafen oft überfordert.

 „Schaffe ich es ich rechtzeitig zum Gate?“, „Höre ich die Durchsagen?“, „Kann ich den Check-in-Automaten bedienen?“ oder „Muss ich Treppen steigen?“: Das sind Fragen, die sich ältere Reisende im Vorfeld eines Flugse stellen.

Das Horrorszenario sieht nach dem Soziologen Kai-Uwe Hellmann von der TU Berlin so aus: „Wenn wir bald ein Drittel Senioren haben und von denen ein Drittel Schwächeanfall-gefährdet ist, dann ist beispielsweise der Flugbetrieb nicht mehr gewährleistet“.

Damit dies nicht passiert, machen neben den Airlines auch die Airports mobil.

Durch das gelbe Visier des Helms starre ich auf die Anzeigetafel und bin fest davon überzeugt, oben links Beirut entziffern zu können. Die Dame vom Hamburg Airport schüttelt den Kopf. Da stehe Genf, sagt sie. (Foto: André Lenthe)

Anspruch auf Unterstützung
PRM steht für Person with Reduced Mobility, Menschen mit eingeschränkter Mobilität. Zu einem großen Teil sind dies Senioren. Die Zahl der PRM-Passagiere, die Hilfsdienste an den 22 internationalen deutschen Airports nutzen, steigt wegen des demografischen Wandels laut dem Flughafenverband ADV stark an: von 1 Mio. 2010 auf über 1,6 Mio. im Jahr 2016 – Tendenz „massiv ansteigend“, so ADV-Hauptgeschäftsführer Ralph Beisel.

Für Erhard Hackler, geschäftsführender Vorstand der Deutschen Seniorenliga, ist diese Entwicklung nicht verwunderlich: „Die älteren Deutschen zählen weltweit zu den reisefreudigsten Senioren. Sie sind zeitlich, in der Regel aber auch finanziell unabhängig.“

Gut, dass die „Best Ager“ Anspruch auf Unterstützung haben: Seit 2008 gilt eine EU-Verordnung, die Flughafenbetreiber zur Betreuung und Unterstützung von PRM-Gästen verpflichtet – sofern sich diese mindestens 48 Stunden vor Abflug bei ihrer Airline, ihrem Reisebüro oder Veranstalter für den Service angemeldet haben. Die Kosten für diese Hilfsdienste werden dabei auf alle Airlines und Passagiere umgelegt, verteuern also die Flugpreise.

Für Jüngere kann das Laufband nicht schnell genug sein: Ich dagegen habe Schwierigkeiten, das Band ohne die Hilfe meiner Hände sturzfrei  zu betreten. Mein Motto: Safety first. Und das dauert. (Foto: André Lenthe)

Möglichst stressfrei in den Flieger
Flughäfen und auch Airlines – das Senioren-Motto der Lufthansa zum Beispiel lautet: „Die Freude am Fliegen kennt kein Alter“ – kennen die Bedürfnisse der wachsenden Kundengruppe und sind auf sie eingestellt.

Die Hilfsleistungen für die Generation 65 können bereits am Haupteingang beginnen und schließen den Check-in und den Transport zum Flugzeug bis zum Sitzplatz ein. Am Zielflughafen werden PMR-Passagiere bei der Entgegennahme des Gepäcks und Zollkontrolle bis hin zum Ausgang und – wenn gewünscht – auch bis zum Parkplatz oder zum Bahnhof begleitet. Dabei unterscheiden die Flughäfen in der Regel zwischen einzelnen Kategorien an Hilfeleistungen: etwa zwischen Senioren, die kurze Strecken alleine gehen können, aber für längere Wege einen Rollstuhl benötigen, oder Passagieren, die komplett auf einen Rollstuhl angewiesen sind.

„Innerhalb unserer bestehenden Infrastruktur überprüfen wir die Passagierwege regelmäßig auf die gegebene Barrierefreiheit und führen bei Bedarf bauliche oder organisatorische Änderungen herbei“, sagt etwa Angelika Heinbuch von Fraport.

Viele Flughäfen punkten darüber hinaus durch Zusatzleistungen wie etwa interaktive Infosäulen („InfoGate-Stelen“), an denen man sich Wegbeschreibungen ausdrucken oder mit einer Servicekraft via Bildschirm sprechen kann. Eine wesentliche Rolle, bei den Bemühungen der Flughäfen, älteren Menschen das Reisen zu erleichtern, spielt auch das Smartphone. Inzwischen bieten zum Beispiel manche Airports auch Apps an, mit der Durchsagen oder Änderungen im Flugplan als Push- Benachrichtigungen angezeigt oder Hilfeleistungen direkt gebucht werden können.

Entsprechend groß ist die Zufriedenheit: Auf 10.000 PRM-Reisende gäbe es eine Beschwerde, so der ADV.

Die Handschuhe simulieren Arthritis: Greifen und Schreiben fallen mir schwer. Auch die Gepäckinfo zu befestigen und beim Trolley-Schieben stets den Hebel drücken zu müssen, ist mühselig. (Foto: André Lenthe)

 

Augezeichnet: Dortmund, Hannover, München

Bisher wurden in Deutschland im Bereich barrierefreie Angebote und Dienstleistungen drei Flughäfen mit dem Qualitätssiegel „Reisen für Alle“ zertifiziert: Dortmund, Hannover und München. Die Anmeldung zur Zertifizierung ist freiwillig. Ziel des Informationssystem vom Deutschen Seminar für Tourismus und der Nationalen Koordinationsstelle Tourismus für Alle ist die Verbesserung der allgemeinen Nutzbarkeit des Flughafens für alle Passagiere.

Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Handlungsbedarf bestehe genug, meint etwa Erhard Hackler von der Deutschen Seniorenliga. Bei einer Umfrage des Vereins im Jahr 2014 sahen die 635 Befragten vor allem Verbesserungsbedarf beim Sitzkomfort und dem Platzangebot. Als wichtig eingestuft wurden auch aktive und umgehende Informationen über Verspätungen oder sonstige Änderungen im Flugplan. Dazu wurden mehr spezielle Serviceleistungen für PRM-Reisende gewünscht wie Info-Points mit persönlichen Ansprechpartnern, schnelle und uneingeschränkte Erreichbarkeit der Sanitäranlagen, Schilder mit Angaben zu Wegstrecken innerhalb des Flughafens sowie Informationen zum Zielflughafen.

„Ein kundenfreundlicher Flughafen hat einen Spagat zu meistern, indem er sich nach den Bedürfnissen unterschiedlicher Altersgruppen zu richten hat“, sagt Hanne Meyer-Hentschel vom Meyer-Hentschel Institut für Altersforschung (, dem Erfinder des Age Explorer). „Jüngere Reisende wollen schnell von A nach B, für sie kann beispielsweise das Laufband nicht schnell genug laufen, während Ältere hier schnell überfordert sind, das relativ schnell laufende Band zu betreten“.

Flughäfen, so Meyer-Hentschel, hätten noch Spielraum zielgruppenspezifischer vorzugehen: etwa bei der Schulung des Personals, insbesondere in der Kommunikation, bei der Integration höherer Sitzgelegenheiten mit gerader Sitzfläche und Armlehnen oder bei der leichteren Bedienung von Gepäckwagen.

Nach drei Stunden im Age Explorer: Von Körperspannung keine Spur, ich schlurfe nur noch und freue mich auf jede Sitzgelegenheit. Der Flughafen hat für mich zunehmend etwas von einem Parcours, der Trubel und die Informationsflut ist auf Dauer stressig. Hier als Senior hier unter Zeitdruck zu stehen? Puuuh. (Foto: André Lenthe)

Gefragt: Genaue und verlässliche Infos

Es tue sich viel, versichert Ralph Beisel vom ADV: „Flughäfen entwickeln teils gemeinsam mit den Behindertenverbänden und den Airlines Maßnahmen zur weiteren Optimierung ihrer PRM-Services. Auf den Internetseiten der Flughäfen gibt es spezielle Rubriken für PRM-Reisende. Dort finden sich alle wichtigen Informationen zum ortsspezifischen PRM-Dienst eines Flughafens.“ Laut Beisel sollen auch Reisebüros verstärkt unterstützt werden. So würden „Buchungskategorien von PRM-Anforderungen noch einmal dezidierter beschrieben, um eine passende Betreuung am Flughafen sicherzustellen.“

Ein wichtiger Schritt, meint Rolf Schrader, Geschäftsführer vom Deutschen Seminar für Tourismus Berlin: „Für Reisebüro-Mitarbeiter ist es essentiell, die besonderen Anforderungen und Fragen der älteren Gäste zu kennen und auch verlässlich beantworten zu können.“ Dazu gehöre übrigens nicht nur der Abflughafen, sondern die gesamte Infrastruktur entlang der Reisekette: „Transport, Unterkunft, Ausflüge und so weiter.“  Laut Schrader seien gerade die detaillierten und geprüften Informationen für den Gast wichtig, auch wenn ein Betrieb wie zum Beispiel ein Flughafen nicht für alle Personengruppen die Stufe „barrierefrei“ erreicht habe.

Lukrativer, aber noch erkannter Zukunftsmarkt

Alles eine Frage der Zeit? Flugreisen für Senioren sind speziell in Deutschland ein lukrativer Zukunftsmarkt. Nur: „Viele Veranstalter, Anbieter, Hotels, Verkehrsmittel und Destinationen haben diese interessante Zielgruppe allerdings noch in ihrem vollen Umsatzpotential erkannt“, meint Altersforscherin Meyer-Hentschel. „Da kann man dann auch keine entsprechenden Lösungen erwarten. Am Anfang muss immer die Erkenntnis stehen, dass man mit älteren Reisenden sehr viel Umsatz machen kann. Die Lösungen folgen dann wie von selbst.“

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